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Der Zaunkönig und der Bär

Art: Fabel
AutorIn: Brüder Grimm
Land: Deutschland
Sprecher: Tom Keymer

Einmal gingen der Bär und der Wolf im Wald spazieren. Da hörte der Bär so schönen Gesang von einem Vogel und sprach: »Bruder Wolf, was ist das für ein Vogel, der so schön singt?«

»Das ist der König der Vögel,« sagte der Wolf, »vor dem müssen wir uns neigen!« Es war aber der Zaunkönig. »Wenn das so ist,« sagte der Bär, »so möcht ich auch gerne seinen königlichen Palast sehen, komm und führe mich hin.« »Das geht nicht so, wie du es meinst,« sprach der Wolf, »du musst warten, bis die Frau Königin kommt.«

Bald darauf kam die Frau Königin und hatte Futter im Schnabel, und der Herr König auch. Sie wollten ihre Jungen füttern. Der Bär wäre nun gerne gleich hintendrein gegangen. Aber der Wolf hielt ihn am Ärmel und sagte: »Nein, du musst warten, bis Herr und Frau Königin wieder fort sind.«

Also beobachteten sie das Loch, wo das Nest stand und gingen ein wenig weiter weg. Der Bär aber hatte keine Ruhe. Er wollte den königlichen Palast sehen. Er ging nach einer kurzen Weile wieder näher. Da waren König und Königin richtig ausgeflogen. Er guckte in den Palast hinein und sah fünf oder sechs Junge, die lagen darin. »Ist das der königliche Palast!« rief der Bär, »das ist ein erbärmlicher Palast! Ihr seid auch keine Königskinder, ihr seid unehrliche Kinder.«

Wie das die jungen Zaunkönige hörten, wurden sie gewaltig bös und schrien: »Nein, das sind wir nicht, unsere Eltern sind ehrliche Leute! Bär, das soll ausgemacht werden mit dir.«

Dem Bär und dem Wolf wurde angst. Sie kehrten um und setzten sich in ihre Höhlen. Die jungen Zaunkönige aber schrien und lärmten fort. Und als ihre Eltern wieder Futter brachten, sagten sie: »Wir rühren kein Fliegenbeinchen an, und sollten wir verhungern, bis ihr erst ausgemacht habt, ob wir ehrliche Kinder sind oder nicht. Der Bär ist da gewesen und hat uns gescholten.« Da sagte der alte König: »Seid nur ruhig, das soll ausgemacht werden.« Darauf flog er mit der Frau Königin dem Bären vor seine Höhle und rief hinein: »Alter Brummbär, warum hast du meine Kinder gescholten? Das soll dir übel bekommen, das wollen wir in einem blutigen Krieg ausmachen.«

Also war dem Bären der Krieg angekündigt. Der Bär und der Wolf riefen alle vierfüssigen Tiere zu Hilfe:  Ochs, Esel, Rind, Hirsch, Reh, und was die Erde sonst noch alles trägt. Der Zaunkönig aber berief alles, was in der Luft fliegt, nicht allein die Vögel gross und klein, sondern auch die Mücken, Hornissen, Bienen und Fliegen mussten herbei.

Als nun die Zeit kam, wo der Krieg angehen sollte, da schickte der Zaunkönig Kundschafter aus, um zu erfahren, wer der kommandierende General des Feindes wäre.

Die Mücke war die Listigste von allen. Sie schwärmte im Wald, wo der Feind sich versammelte, und setzte sich endlich unter ein Blatt auf den Baum, wo die Parole ausgegeben wurde. Da stand der Bär, rief den Fuchs vor sich und sprach: »Fuchs, du bist der Schlauste unter allem Getier, du sollst General sein und uns anführen.« »Gut«, sagte der Fuchs, »aber was für Zeichen wollen wir verabreden?« Niemand wusste es. Da sprach der Fuchs: »Ich habe einen schönen, langen, buschigen Schwanz. Der sieht fast wie ein roter Federbusch aus. Wenn ich den Schwanz in die Höhe halte, so geht die Sache gut, und ihr müsst darauflos marschieren. Lass ich ihn aber herunterhängen, so lauft, was ihr könnt.«

Als die Mücke das gehört hatte, flog sie wieder heim und verriet dem Zaunkönig alles haarklein.

Als der Tag anbrach, wo die Schlacht angesagt war, hu, da kam das vierfüssige Getier dahergerannt mit Gebraus, dass die Erde zitterte. Zaunkönig mit seiner Armee kam durch die Luft daher, die schnurrte, schrie und schwärmte, dass einem angst und bange wurde.

Der Zaunkönig aber schickte die Hornisse hinab, sie sollte sich dem Fuchs unter den Schwanz setzen und aus Leibeskräften stechen. Wie nun der Fuchs den ersten Stich bekam, zuckte er, dass er das eine Bein aufhob. Doch ertrug er’s und hielt den Schwanz noch in der Höhe. Beim zweiten Stich musste er ihn einen Augenblick herunterlassen — beim dritten aber konnte er sich nicht mehr halten, schrie und nahm den Schwanz zwischen die Beine.

Wie das die Tiere sahen, meinten sie, alles wäre verloren. Sie fingen an zu laufen, jeder in seine Höhle. Und die Vögel hatten die Schlacht gewonnen.

Da flog der Herr König und die Frau Königin heim zu ihren Kindern und riefen: »Kinder, seid fröhlich, esst und trinkt nach Herzenslust, wir haben den Krieg gewonnen.«
Die jungen Zaunkönige aber sagten: »Noch essen wir nicht, der Bär soll erst vors Nest kommen und Abbitte tun. Er soll sagen, dass wir ehrliche Kinder sind.« Da flog der Zaunkönig vor das Loch des Bären und rief: »Brummbär, du sollst vor das Nest zu meinen Kindern gehen und Abbitte tun und sagen, dass sie ehrliche Kinder sind. Sonst sollen dir die Rippen im Leib zertreten werden.«

Da kroch der Bär in der grössten Angst hin und tat Abbitte. Jetzt waren die jungen Zaunkönige erst zufrieden. Sie setzten sich zusammen, assen und tranken und machten sich lustig bis in die späte Nacht hinein.
 



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