Rumpelstilzli.li - E-Learning für die ersten 3 Schuljahre

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Der Riese und der Schneider

Art: Märchen
AutorIn: Brüder Grimm
Land: Deutschland
Sprecher: Tom Keymer

Ein Schneider war ein grosser Prahler. Da kam es ihm in den Sinn, ein wenig auszugehen und sich im Wald umzuschauen. Sobald er nur konnte, verliess er seine Werkstatt,
      wanderte seinen Weg
      über Brücke und Steg,
      bald da, bald dort,
      immer fort und fort.

Als er nun draussen war, erblickte er in der blauen Ferne einen steilen Berg. Dahinter war ein himmelhoher Turm, der aus einem wilden und finsteren Wald hervorragte. »Potz Blitz!« rief der Schneider, »was ist das?« Und weil ihn die Neugierde gewaltig stach, so ging er frisch darauf los. Wie sperrte er aber Maul und Augen auf, als er in die Nähe kam. Der Turm hatte Beine, sprang in einem Satz über den steilen Berg und stand als ein mächtiger Riese vor dem Schneider.

»Was willst du hier, du winziges Fliegenbein,« rief der Riese mit einer Stimme, als wenn’s von allen Seiten donnerte. Der Schneider wisperte: »Ich will mich umschauen, ob ich mein Stückchen Brot in dem Wald verdienen kann.« »Wenn’s darum geht,« sagte der Riese, »so kannst du ja bei mir im Dienst eintreten.« »Wenn’s sein muss, warum nicht? Was kriege ich aber für einen Lohn?« »Was du für einen Lohn kriegst?« sagte der Riese, »das sollst du hören.

Jährlich dreihundertfünfundsechzig Tage, und wenn’s ein Schaltjahr ist, noch einen obendrein. Ist dir das recht?« »Meinetwegen,« antwortete der Schneider und dachte in seinem Sinn: »Man muss sich strecken nach seiner Decke. Ich versuche, mich bald wieder los zu machen.«

Darauf sprach der Riese zu ihm: »Geh, kleiner Halunke und hol mir einen Krug Wasser.« »Warum nicht lieber gleich den Brunnen mitsamt der Quelle?« fragte der Prahlhans und ging mit dem Krug zum Brunnen. »Was? den Brunnen mitsamt der Quelle?« brummte der Riese. Er war ein bisschen dumm und fing an sich zu fürchten. »Der Kerl kann mehr als Äpfel braten, der ist gewiss ein Zauberer. Sei auf der Hut, alter Hans, das ist kein Diener für dich.«

Als der Schneider das Wasser gebracht hatte, befahl ihm der Riese, im Walde ein paar Scheite Holz zu hauen und heim zu tragen. »Warum nicht lieber den ganzen Wald mit einem Streich, den ganzen Wald mit jung und alt, mit allem, was er hat, knorzig und glatt?« fragte das Schneiderlein und ging das Holz hauen.

»Was? den ganzen Wald mit jung und alt, mit allem, was er hat, knorzig und glatt? und den Brunnen mitsamt der Quelle?« brummte der leichtgläubige Riese in den Bart und fürchtete sich noch mehr. »Der Kerl kann mehr als Äpfel braten, der ist gewiss ein Zauberer. Sei auf der Hut, alter Hans, das ist kein Diener für dich.«

Wie der Schneider das Holz gebracht hatte, befahl ihm der Riese, zwei oder drei wilde Schweine zum Abendessen zu schiessen. »Warum nicht lieber gleich tausend auf einen Schuss und die alle hierher?« fragte der Schneider.

»Was?« rief der Hasenfuss von einem Riesen und war heftig erschrocken, »lass es nur für heute gut sein und lege dich schlafen.«

Der Riese fürchtete sich so gewaltig, dass er die ganze Nacht kein Auge zutun konnte und hin und her überlegte, wie er den verwünschten Hexenmeister von Diener loswerden könnte. Kommt Zeit, kommt Rat. Am andern Morgen gingen der Riese und der Schneider zu einem Sumpf, um den ringsherum eine Menge Weidenbäume standen.

Da sprach der Riese: »Hör einmal, Schneider, setz dich auf eine von den Weidenruten, ich möchte um mein Leben gern sehen, ob du im Stand bist, sie herabzubiegen.«

Husch, sass das Schneiderlein oben, hielt den Atem an und machte sich schwer, so schwer, dass sich die Gerte niederbog. Als er aber wieder Atem holen musste, da schnellte sie ihn, zur grossen Freude des Riesen, so weit in die Höhe, dass man ihn gar nicht mehr sehen konnte. Wenn er nicht wieder herunter gefallen ist, so wird er wohl noch oben in der Luft herum schweben.



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