Rumpelstilzli.li - E-Learning für die ersten 3 Schuljahre

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Die Lebenszeit

Art: Märchen
AutorIn: Brüder Grimm
Land: Deutschland
Sprecher: Tom Keymer

Als Gott die Welt geschaffen hatte, wollte er allen Kreaturen ihre Lebenszeit bestimmen. Da kam der Esel und fragte: »Herr, wie lange soll ich leben?« »Dreissig Jahre,« antwortete Gott, »ist dir das recht?« »Ach Herr,« erwiderte der Esel, »das ist eine lange Zeit. Bedenke mein mühseliges Dasein. Ich muss vom Morgen bis in die Nacht schwere Lasten tragen, Kornsäcke in die Mühle schleppen, damit andere das Brot essen. Ich werde nur mit Schlägen und Fusstritten belohnt! Erlass mir einen Teil der langen Zeit.« Da erbarmte sich Gott und schenkte ihm achtzehn Jahre.

Der Esel ging getröstet weg, und der Hund erschien. »Wie lange willst du leben?« sprach Gott zu ihm, »dem Esel sind dreissig Jahre zu viel, du aber wirst damit zufrieden sein.« »Herr,« antwortete der Hund, »ist das dein Wille? Bedenke, was ich laufen muss, das halten meine Füsse so lange nicht aus. Und habe ich erst die Stimme zum Bellen verloren und die Zähne zum Beissen, was bleibt mir übrig, als aus einer Ecke in die andere zu laufen und zu knurren?« Gott sah, dass er recht hatte und erliess ihm zwölf Jahre.

Darauf kam der Affe. »Du willst doch wohl gerne dreissig Jahre leben?« sprach der Herr zu ihm, »du brauchst nicht zu arbeiten, wie der Esel und der Hund, und du bist immer guter Dinge.«

»Ach Herr,« antwortete er, »das sieht so aus, ist aber anders. Wenn’s Hirsebrei regnet, habe ich keinen Löffel. Ich soll immer lustige Streiche machen, Gesichter schneiden, damit die Leute lachen. Und wenn sie mir einen Apfel reichen und ich beisse hinein, so ist er sauer. Wie oft steckt die Traurigkeit hinter dem Spass! Dreissig Jahre halte ich nicht aus.« Gott war gnädig und schenkte ihm zehn Jahre.

Endlich erschien der Mensch. Er war freudig, gesund und frisch und bat Gott, ihm seine Zeit zu bestimmen. »Dreissig Jahre sollst du leben,« sprach der Herr, »ist dir das genug?« »Welch eine kurze Zeit!« rief der Mensch, »wenn ich mein Haus gebaut habe, und das Feuer auf meinem eigenen Herde brennt, wenn ich Bäume gepflanzt habe, die blühen und Früchte tragen, und ich meines Lebens froh zu werden gedenke, so soll ich sterben! O Herr, verlängere meine Zeit.«

»Ich will dir die achtzehn Jahre des Esels dazugeben« sagte Gott. »Das ist nicht genug«, erwiderte der Mensch. »Du sollst auch die zwölf Jahre des Hundes dazu haben.« »Immer noch zu wenig.« »Wohlan,« sagte Gott, »ich will dir noch die zehn Jahre des Affen geben, aber mehr erhältst du nicht!« Der Mensch ging fort, war aber nicht zufrieden gestellt.

Also lebt der Mensch siebzig Jahre. Die ersten dreissig sind seine menschlichen Jahre, die gehen schnell dahin. Da ist er gesund und heiter, und arbeitet mit Lust und freut sich seines Daseins.

Hierauf folgen die achtzehn Jahre des Esels, da wird ihm eine Last nach der andern auferlegt: er muss das Korn tragen, das andere nährt, und Schläge und Tritte sind der Lohn seiner treuen Dienste.

Dann kommen die zwölf Jahre des Hundes. Da liegt er in den Ecken, knurrt und hat keine Zähne mehr zum Beissen.

Und wenn diese Zeit vorüber ist, so machen die zehn Jahre des Affen den Schluss. Da ist der Mensch schwachköpfig und närrisch, treibt alberne Dinge und wird ein Spott der Kinder.



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