Rumpelstilzli.li - E-Learning für die ersten 3 Schuljahre

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Die treuen Tiere

Art: Märchen
AutorIn: Brüder Grimm
Land: Deutschland
Sprecher: Tom Keymer

Es war einmal ein Mann, der hatte gar nicht viel Geld. Mit dem wenigen, das ihm übrig blieb, zog er in die weite Welt. Da kam er in ein Dorf, wo die Jungen zusammen liefen, schrien und lärmten.

»Was habt ihr vor, ihr Jungen?«, fragte der Mann. »Ei«, antworteten sie, »da haben wir eine Maus, die muss uns vortanzen. Seht einmal, was das für ein Spass ist und wie sie herumtrippelt!« Den Mann aber dauerte das arme Tierchen, und er sprach: »Lasst die Maus laufen, ihr Jungen, ich will euch auch Geld geben.« 

Da gab er ihnen Geld, und sie liessen die Maus frei. Die lief, so schnell sie konnte, in ein Loch hinein. Der Mann ging fort und kam in ein anderes Dorf. Da hatten die Jungen einen Affen, der musste tanzen und Purzelbäume machen. Und sie lachten darüber und liessen dem Tier keine Ruh. Da gab ihnen der Mann Geld, damit sie den Affen losliessen. Danach kam der Mann in ein drittes Dorf, da hatten die Jungen einen Bären, der musste sich aufrecht setzen und tanzen. Und wenn er dazu brummte, gefiel es ihnen erst recht. Da kaufte ihn der Mann auch los. Der Bär war froh, dass er wieder auf seine vier Beine kam und trabte fort.

Der Mann aber hatte nun sein bisschen übriges Geld ausgegeben und keinen roten Heller mehr in der Tasche. Da sprach er zu sich selber: »Der König hat so viel in seiner Schatzkammer, das er nicht braucht. Ich will da etwas nehmen. Wenn ich wieder zu Geld komme, kann ich’s ja wieder hineinlegen.« Also schlich er sich in die Schatzkammer und nahm sich ein wenig davon. Beim Herausschleichen wurde er aber von den Leuten des Königs erwischt.

Sie sagten, er wäre ein Dieb und führten ihn vor Gericht. Da wurde er verurteilt, dass er in einem Kasten aufs Wasser gesetzt werden sollte. Der Kastendeckel war voller Löcher, damit Luft hinein konnte. Auch wurde ihm ein Krug Wasser und ein Laib Brot mit hineingegeben. 

Wie er nun so auf dem Wasser schwamm und grosse Angst hatte, hörte er etwas krabbeln am Schloss, nagen und schnauben. Auf einmal sprang das Schloss auf und der Deckel in die Höhe. Da standen die  Maus, der Affe und der Bär. Sie hatten ihn befreit, weil er ihnen auch geholfen hatte. Nun wussten die Tiere aber nicht, was sie noch weiter tun sollten.

Während sie sich noch berieten, schwamm auf dem Wasser ein weisser Stein daher. Er sah aus wie ein rundes Ei. Da sagte der Bär: »Der kommt zu rechten Zeit, das ist ein Wunderstein. Wer den hat, der kann sich wünschen, wozu er Lust hat.« Da fing der Mann den Stein. 

Als er ihn in der Hand hielt, wünschte er sich ein Schloss mit Garten und grossem Pferdestall. Kaum hatte er den Wunsch gesagt, so sass er in dem Schloss mit dem Garten und dem Pferdestall. Alles war so schön und prächtig, dass er sich nicht genug wundern konnte.

Nach einer Zeit zogen Kaufleute des Wegs vorbei. »Seht nur«, riefen sie, »was da für ein herrliches Schloss steht. Das letzte Mal, als wir vorbeikamen, war da nur Sand.« Weil sie nun neugierig waren, gingen sie hinein und erkundigten sich bei dem Mann, wie er alles so geschwind hätte bauen können. 

Da sprach er: »Das habe nicht ich getan, sondern mein Wunderstein.« — »Was ist das für ein Stein?«, fragten sie. Da ging er hin, holte ihn und zeigte ihn den Kaufleuten. Die hatten grosse Lust darauf und fragten, ob er nicht zu kaufen wäre. Sie boten ihm alle ihre schönen Pferde an. 

Der Mann meinte, die schönen Pferde seien mehr wert als der Wunderstein. Also gab er den Händlern den Wunderstein für die Pferde.

Kaum aber hatte er ihn aus den Händen gegeben, da war auch alles Glück dahin. Er sass auf einmal wieder in dem verschlossenen Kasten auf dem Fluss mit einem Krug Wasser und einem Laib Brot. Als die treuen Tiere sein Unglück sahen, kamen sie wieder und wollten ihm helfen. Aber sie konnten nicht einmal das Schloss aufsprengen, weil’s viel fester war als beim ersten Mal.

Da sprach der Bär: »Wir müssen den Wunderstein wieder herbeischaffen, sonst ist alles umsonst.« Weil nun die Kaufleute noch in dem Schloss wohnten, gingen die Tiere miteinander hin. Als sie nahe dabei waren, sagte der Bär: »Maus, geh hin, guck durchs Schlüsselloch und sieh, was anzufangen ist. Du bist klein, dich bemerkt kein Mensch.«

Die Maus war willig, kam aber wieder und sagte: »Es geht nicht, ich habe hinein geguckt. Der Stein hängt unter dem Spiegel an einem roten Bändchen. Und  ein paar grosse Katzen mit feurigen Augen bewachen den Stein.« 

Da sagten die andern: »Geh nur wieder hinein und warte, bis der Herr im Bett liegt und schläft. Dann schleich dich durch ein Loch hinein und kriech aufs Bett. Beiss ihn an der Nase und beiss ihm seine Haare ab.« 

Die Maus ging wieder hinein und tat, was die anderen gesagt hatten. Der Herr wachte auf, rieb sich die Nase, war ärgerlich und sprach: »Die Katzen taugen nichts, sie lassen die Mäuse mir die Haare vom Kopf abbeissen!« Und er jagte sie alle beide fort. Da hatte die Maus gewonnenes Spiel.

Als nun der Herr die nächste Nacht wieder eingeschlafen war, schlich sich die Maus hinein. Sie knusperte und nagte an dem roten Band, woran der Stein hing, so lange, bis es entzwei war und runterfiel. Dann schleifte sie’s bis zu der Haustür. Das wurde aber der armen, kleinen Maus zu schwer. Sie sprach zum Affen, der schon auf der Lauer stand: »Nimm du deine Pfote und hol’s ganz heraus!« Das war dem Affen ein Leichtes. Er trug den Stein, und sie gingen so miteinander bis zum Fluss.

Da sagte der Affe: »Wie sollen wir aber nun zu dem Kasten kommen?« Der Bär sagte: »Das ist bald geschehen, ich gehe ins Wasser und schwimme. Du, Affe, setz dich auf meinen Rücken. Halte dich aber mit deinen Händen fest und nimm den Stein ins Maul. Du, Mäuschen, kannst dich in mein rechtes Ohr setzen.« 

So machten sie es und schwammen den Fluss hinab. Nach einiger Zeit war’s dem Bären zu still. Er fing an zu schwatzen und sagte: »Hör’ Affe, wir sind doch brave Kameraden, was meinst du?« — Der Affe aber antwortete nicht und schwieg. »Ei!«, sagte der Bär, »Willst du mir keine Antwort geben? Das ist ein schlechter Kerl, der nicht antwortet!« Wie der Affe das hörte, tat er das Maul auf, liess den Stein ins Wasser fallen und sagte: »Ich konnte ja nicht antworten, ich hatte den Stein im Maul. Jetzt ist er fort, daran bist du allein Schuld.« 

»Sei nur ruhig«, sagte der Bär, »wir wollen schon etwas ausdenken.« Da beratschlagten sie sich und riefen die Laubfrösche, Unken und alle Tiere, die im Wasser leben, zusammen. Dann sagten sie: »Es kommt ein gewaltiger Feind. Macht, dass ihr viele Steine zusammenschafft, so wollen wir euch eine Mauer bauen und euch schützen.« 

Da erschraken die Tiere, und brachten Steine von allen Seiten herbeigeschleppt. Endlich kam auch ein alter, dicker Quakfrosch vom Grund heraufgerudert. Im Maul hatte er das rote Band mit dem Wunderstein. Wie der Bär das sah, rief er vergnügt: »Da haben wir, was wir wollten«. Er nahm dem Frosch seine Last ab und  sagte den Tieren, es wäre jetzt gut. 

Darauf fuhren die drei hinab zu dem Mann im Kasten. Sie sprengten den Deckel mit Hilfe des Steins und kamen noch zu rechter Zeit, denn er hatte das Brot schon aufgezehrt und das Wasser getrunken. 

Als er aber den Stein in die Hände bekam, da wünschte er sich wieder frisch und gesund. Auch sein schönes Schloss mit dem Garten und dem Pferdestall wünschte er sich zurück. 

Die drei treuen Tiere blieben bei ihm. Und sie lebten vergnügt zusammen. Sie hatten es gut ihr Leben lang.

 



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