Rumpelstilzli.li - E-Learning für die ersten 3 Schuljahre

...zurück zur Übersicht

Text-Erklärungen sind anaus
alle Erklärungen anzeigenFragen zur Geschichte beantwortenGeschichte hören und mitlesenGeschichte und Fragen als PDF downloadenBildergalerie

Frau Holle

Art: Märchen
AutorIn: Brüder Grimm
Land: Deutschland
Sprecher: Tom Keymer

Eine Witwe hatte zwei Töchter, davon war die eine schön und fleissig, die andere hässlich und faul. Sie hatte aber die hässliche und faule, weil sie ihre rechte Tochter war, viel lieber, und die andere musste alle Arbeit tun.

Das arme Mädchen musste sich täglich auf die grosse Strasse bei einem Brunnen setzen und musste so viel spinnen, dass ihm das Blut aus den Fingern sprang. Nun trug es sich zu, dass die Spule einmal ganz blutig war. Da bückte es sich damit in den Brunnen und wollte sie abwaschen. Sie sprang ihm aber aus der Hand und fiel hinab. Es weinte, lief zur Stiefmutter und erzählte ihr das Unglück. Sie schimpfte mit ihm aber so heftig und war so unbarmherzig, dass sie sprach: »Hast du die Spule hinunterfallen lassen, so hol sie auch wieder herauf.«

Da ging das Mädchen zu dem Brunnen zurück und wusste nicht, was es anfangen sollte. In seiner Herzensangst sprang es in den Brunnen hinein, um die Spule zu holen. Es verlor die Besinnung, und als es erwachte und wieder zu sich selber kam, war es auf einer schönen Wiese, wo die Sonne schien und vieltausend Blumen standen. Auf dieser Wiese ging es fort und kam zu einem Backofen, der war voller Brot. Das Brot aber rief: »Ach, zieh mich raus, zieh mich raus, sonst verbrenn ich. Ich bin schon längst ausgebacken.« Da trat es herzu und holte mit dem Brotschieber alles nach-einander heraus.

Danach ging es weiter und kam zu einem Baum, der hing voll Äpfel, und rief ihm zu: »Ach, schüttel mich, schüttel mich, wir Äpfel sind alle miteinander reif.« Da schüttelte es den Baum, dass die Äpfel fielen, als regnete es Äpfel. Es schüttelte, bis keiner mehr oben war. Als es alle in einen Haufen zusammengelegt hatte, ging es wieder weiter.

Endlich kam es zu einem kleinen Haus, daraus guckte eine alte Frau. Weil sie aber so grosse Zähne hatte, bekam es Angst, und es wollte fortlaufen. Die alte Frau aber rief ihm nach: »Was fürchtest du dich, liebes Kind? Bleib bei mir. Wenn du alle Arbeit im Hause ordentlich tun willst, so soll’s dir gut gehen. Du musst nur achtgeben, dass du mein Bett gut machst und es fleissig aufschüttelst, dass die Federn fliegen, dann schneit es in der Welt. Ich bin die Frau Holle.«

Weil die Alte ihm so gut zusprach, so fasste sich das Mädchen ein Herz, willigte ein und begab sich in ihren Dienst. Es besorgte auch alles nach ihrer Zufriedenheit und schüttelte ihr das Bett immer gewaltig auf, dass die Federn wie Schneeflocken umherflogen. Dafür hatte es auch ein gutes Leben bei ihr, kein böses Wort und alle Tage gutes Essen.

Nun war es schon eine Zeitlang bei der Frau Holle. Da wurde es traurig und wusste anfangs selbst nicht, was ihm fehlte. Endlich merkte es, dass es Heimweh hatte. Obwohl es ihm hier gleich tausendmal besser ging als zu Hause, so hatte es doch ein Verlangen dahin. Endlich sagte es zu ihr: »Ich habe Heimweh, und wenn es mir auch noch so gut hier unten geht, so kann ich doch nicht länger bleiben, ich muss wieder hinauf zu den Meinigen.« Die Frau Holle sagte: »Es gefällt mir, dass du wieder nach Haus verlangst, und weil du mir so treu gedient hast, so will ich dich selbst wieder hinaufbringen.«

Sie nahm es darauf bei der Hand und führte es vor ein grosses Tor. Das Tor wurde aufgemacht. Als das Mädchen gerade darunterstand, fiel ein gewaltiger Goldregen, und alles Gold blieb an ihm hängen, so dass es über und über davon bedeckt war. »Das sollst du haben, weil du so fleissig gewesen bist«, sprach die Frau Holle und gab ihm auch die Spule wieder, die ihm in den Brunnen gefallen war. Darauf wurde das Tor verschlossen, und das Mädchen befand sich oben auf der Welt, nicht weit vom Haus seiner Mutter. Als es in den Hof kam, sass der Hahn auf dem Brunnen und rief: »Kikeriki, unsere goldene Jungfrau ist wieder hier.« Da ging es hinein zu seiner Mutter, und weil es so mit Gold bedeckt ankam, wurde es von ihr und der Schwester gut aufgenommen.

Das Mädchen erzählte alles, was ihm begegnet war, und als die Mutter hörte, wie es zu dem grossen Reichtum gekommen war, wollte sie der andern, hässlichen und faulen Tochter gerne dasselbe Glück verschaffen. Sie musste sich an den Brunnen setzen und spinnen. Und damit ihre Spule blutig wurde, stach sie sich in die Finger und stiess sich die Hand in die Dornenhecke. Dann warf sie die Spule in den Brunnen und sprang selber hinein. Sie kam, wie die andere, auf die schöne Wiese und ging auf demselben Pfade weiter.

Als sie zu dem Backofen gelangte, schrie das Brot wieder: »Ach, zieh mich raus, zieh mich raus, sonst verbrenn ich, ich bin schon längst ausgebacken.« Die Faule aber antwortete: »Da hätt ich Lust, mich schmutzig zu machen«, und ging fort. Bald kam sie zu dem Apfelbaum, der rief: »Ach, schüttel mich, schüttel mich, wir Äpfel sind alle miteinander reif.« Sie antwortete aber: »Du kommst mir recht, es könnte mir einer auf den Kopf fallen«, und ging damit weiter. Als sie vor das Haus von Frau Holle kam, fürchtete sie sich nicht, weil sie von ihren grossen Zähnen schon gehört hatte und arbeitete bei ihr.

Am ersten Tag tat sie sich Gewalt an, war fleissig und folgte der Frau Holle, wenn sie ihr etwas sagte. Denn sie dachte an das viele Gold, das sie ihr schenken würde. Am zweiten Tag aber fing sie schon an zu faulenzen, am dritten noch mehr, da wollte sie morgens gar nicht aufstehen. Sie machte auch der Frau Holle das Bett nicht, wie’s sich gebührte, und schüttelte es nicht, dass die Federn aufflogen. Da wurde die Frau Holle bald müde und sagte ihr, sie solle wieder zurückgehen zur Mutter. Die Faule war einverstanden und meinte, nun würde der Goldregen kommen. Die Frau Holle führte sie auch zu dem Tor. Als sie aber darunterstand, wurde statt des Goldes ein grosser Kessel voll Pech ausgeschüttet. »Das ist zur Belohnung deiner Dienste«, sagte die Frau Holle und schloss das Tor zu. Da kam die Faule heim, aber sie war ganz mit Pech bedeckt. Als der Hahn auf dem Brunnen sie sah, rief er: »Kikeriki, unsere schmutzige Jungfrau ist wieder hier.« Das Pech aber blieb fest an ihr hängen und wollte, solange sie lebte, nicht abgehen.



...nach oben