Rumpelstilzli.li - E-Learning für die ersten 3 Schuljahre

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König Drosselbart

Art: Märchen
AutorIn: Brüder Grimm
Land: Deutschland
Sprecher: Tom Keymer

Ein König hatte eine Tochter, die war über alle Massen schön. Sie war aber dabei so stolz und übermütig, dass ihr kein Mann gut genug war. Sie wies einen nach dem andern ab und trieb dazu noch Spott mit ihnen. Einmal liess der König ein grosses Fest machen und lud dazu alle heiratslustigen Männer ein.

Sie wurden alle in eine Reihe nach Rang und Stand geordnet: Zuerst kamen die Könige, dann die Herzöge, die Fürsten, die Grafen und zuletzt die Edelleute. Nun wurde die Königstochter durch die Reihen geführt. Aber an jedem hatte sie etwas auszusetzen. Der Eine war ihr zu dick: »Das Weinfass!« sprach sie. Der Andere zu lang: »Lang und schlank hat keinen Gang.« Der Dritte zu kurz: »Kurz und dick hat kein Geschick.« Der Vierte zu blass: »Der bleiche Tod!« Der Fünfte zu rot: »Der Zinshahn!« Der Sechste war nicht grade genug: »Grünes Holz, hinterm Ofen getrocknet!« Und so hatte sie an jedem etwas auszusetzen.

Besonders aber machte sie sich über einen guten König lustig, der ganz oben stand und dem das Kinn ein wenig krumm gewachsen war. »Ei«, rief sie und lachte, »der hat ein Kinn, wie die Drossel einen Schnabel!« Und seit der Zeit bekam er den Namen Drosselbart. Der alte König aber wurde zornig, als er sah, dass seine Tochter nichts tat, als über die Leute spotten und alle Freier verschmähte. Er schwor, sie solle den ersten besten Bettler zum Manne nehmen, der vor seine Türe käme.

Ein paar Tage darauf sang ein Spielmann unter dem Fenster, um damit ein wenig Geld zu verdienen. Als es der König hörte, sprach er: »Lasst ihn heraufkommen.« Da trat der Spielmann in seinen schmutzi-gen, verlumpten Kleidern herein und sang vor dem König und seiner Tochter. Als er fertig war, bat er um eine milde Gabe. Der König sprach: »Dein Gesang hat mir so wohl gefallen, dass ich dir meine Tochter da zur Frau geben will.«

Die Königstochter erschrak, aber der König sagte: »Ich habe den Eid getan, dich dem ersten besten Bettelmann zu geben. Diesen Eid will ich auch halten.« Der Pfarrer wurde geholt, und sie musste sich gleich mit dem Spielmann trauen lassen. Als das geschehen war, sprach der König: »Nun schickt sich’s nicht, dass du als ein Bettelweib noch länger in meinem Schloss bleibst. Du kannst nun mit deinem Manne fortziehen.«

Der Bettelmann führte sie an der Hand hinaus, und sie musste mit ihm zu Fuss fortgehen. Als sie in einen grossen Wald kamen, da fragte sie: »Ach, wem gehört der schöne Wald?« »Der gehört dem König Drosselbart. Hättest du ihn genommen, so wär er dein.« »Ich armes Mädchen zart, ach hätte ich genommen den König Drosselbart!«

Da kamen sie über eine Wiese, da fragte sie wieder: »Wem gehört die schöne, grüne Wiese?« »Sie gehört dem König Drosselbart. Hättest du ihn genommen, so wär sie dein.« »Ich armes Mädchen zart, ach hätte ich genommen den König  Drosselbart!«

Dann kamen sie durch eine grosse Stadt, da fragte sie wieder: »Wem gehört diese grosse Stadt ?« »Sie gehört dem König Drosselbart. Hättest du ihn genommen so wär sie dein.« »Ich armes Mädchen zart, ach hätte ich genommen den König Drosselbart!« »Es gefällt mir gar nicht«, sprach der Spielmann, »dass du dir immer einen andern zum Mann wünschst. Bin ich dir nicht gut genug?«

Endlich kamen sie an ein kleines Häuschen, da sprach sie: »Ach, Gott, wie ist das Haus so klein! Wem mag das elende winzige Häuschen sein?« Der Spielmann antwortete: »Das ist mein und dein Haus, wo wir zusammen wohnen.« Sie musste sich bücken, damit sie zu der niedrigen Tür hineinkam. »Wo sind die Diener?« fragte die Königstochter.

»Was, Diener?« antwortete der Bettelmann, »du musst alles selber tun. Mach nur gleich Feuer an und stell Wasser auf, damit du mir mein Essen kochen kannst, ich bin ganz müde.« Die Königstochter verstand aber nichts vom Feuer anmachen und Kochen, und der Bettelmann musste selber mit Hand anlegen. Als sie das einfache Essen verzehrt hatten, legten sie sich zu Bett.

Aber am Morgen trieb er sie schon ganz früh heraus, weil sie den Haushalt machen sollte. Ein paar Tage lebten sie auf diese Art schlecht und recht und zehrten ihren Vorrat auf. Da sprach der Mann: »Frau, so geht’s nicht länger, dass wir hier essen und nichts verdienen. Du sollst Körbe flechten!«

Er ging weg und  schnitt Weidenzweige und brachte sie heim. Da fing sie an zu flechten, aber die harten Weiden stachen ihr die zarten Hände wund. »Ich sehe, das geht nicht«, sprach der Mann, «spinne lieber, vielleicht kannst du das besser.« Sie setzte sich hin und versuchte zu spinnen, aber der harte Faden schnitt ihr bald in die weichen Finger, dass das Blut daran herunterlief. »Siehst du«, sprach der Mann, »du taugst zu keiner Arbeit, mit dir bin ich schlimm dran. Nun will ich versuchen, einen Handel mit Töpfen und Geschirr anzufangen. Du sollst dich auf den Markt setzen und die Ware anbieten.«

»Ach«, dachte sie, »wenn Leute aus meines Vaters Reich auf den Markt kommen und mich da sitzen sehen, werden sie mich verspotten!« Aber es half nichts, sie musste sich fügen, wenn sie nicht Hungers sterben wollten.

Das erste Mal ging es gut, denn die Leute kauften der Frau, weil sie schön war, gerne ihre Ware ab und bezahlten, was sie forderte. Ja, viele gaben ihr das Geld und liessen ihr die Töpfe noch dazu.

Einmal kaufte der Mann wieder eine Menge neues Geschirr. Sie setzte sich damit an eine Ecke des Marktes und stellte es um sich her und bot es zum Kauf an. Da kam plötzlich ein betrunkener Reiter daher gejagt und ritt gradezu in die Töpfe hinein, so dass alles in tausend Scherben zersprang. Sie fing an zu weinen und wusste vor Angst nicht, was sie anfangen sollte. »Ach, wie wird es mir ergehen!« rief sie, »was wird mein Mann dazu sagen!«

Sie lief heim und erzählte ihm das Unglück. »Wer setzt sich auch mit Geschirr an die Ecke des Marktes?« sprach der Mann, »lass nur das Weinen, ich sehe wohl, du bist zu keiner ordentlichen Arbeit zu gebrauchen. Darum bin ich in unseres Königs Schloss gewesen und habe gefragt, ob sie nicht eine Küchenmagd brauchen könnten. Sie haben mir versprochen, sie wollten dich dazu nehmen. Dafür bekommst du freies Essen.«

Nun wurde die Königstochter eine Küchenmagd und musste dem Koch zur Hand gehen und die schwerste Arbeit tun. Sie machte sich in beiden Taschen ein Töpfchen fest. Darin brachte sie nach Hause, was sie von den Essensresten bekam.  Davon ernährten sie sich.

Einmal sollte die Hochzeit des ältesten Königssohnes gefeiert werden. Da ging die arme Frau hinauf und stellte sich vor die Saaltüre und wollte zusehen. Die Lichter wurden angezündet und einer nach dem andern kam herein, immer einer schöner als der andere. Alles war voller Pracht. Sie dachte mit betrübtem Herzen an ihr Schicksal. Sie verwünschte ihren Stolz und ihren Übermut, der sie erniedrigt und in so grosse Armut gestürzt hatte.

Manchmal warfen ihr Diener ein paar Brocken von den köstlichen Speisen zu. Die tat sie in ihr Töpfchen und wollte sie heimtragen. Auf einmal trat der Königssohn herein. Er war in Samt und Seide gekleidet und hatte goldene Ketten um den Hals. Als er die schöne Frau in der Türe stehen sah, ergriff er sie bei der Hand und wollte mit ihr tanzen.

Aber sie weigerte sich und erschrak, denn sie sah, dass es der König Drosselbart war, der sie zur Frau wollte und den sie mit Spott abgewiesen hatte. Ihr Sträuben half nichts, er zog sie in den Saal. Da zerriss das Band, an welchem die Taschen hingen, und die Töpfe fielen heraus. Die Suppe floss auf den Boden, und die Brocken sprangen umher. Wie das die Leute sahen, entstand ein allgemeines Gelächter und Spotten. Sie war sehr beschämt.

Sie sprang zur Türe hinaus und wollte entfliehen. Aber auf der Treppe holte sie ein Mann ein und brachte sie zurück. Und wie sie ihn ansah, war es wieder der König Drosselbart. Er sprach ihr freundlich zu: »Fürchte dich nicht, ich und der Spielmann, der mit dir in dem elenden Häuschen gewohnt hat, sind dieselben. Dir zuliebe habe ich mich verstellt, und der Reiter, der dir die Töpfe entzwei geritten hat, bin ich auch gewesen. Das alles ist geschehen, um deinen stolzen Sinn zu beugen und dich für deinen Hochmut zu bestrafen.«

Da weinte sie bitterlich und sagte: »Ich habe grosses Unrecht getan und bin nicht wert, deine Frau zu sein.« Er aber sprach: »Tröste dich! Die bösen Tage sind vorüber, jetzt wollen wir unsere Hochzeit feiern.« Da kamen die Kammerfrauen und brachten ihr die prächtigsten Kleider. Ihr Vater kam, und der ganze Hof und wünschten ihr Glück zu ihrer Heirat mit dem König Drosselbart. Die rechte Freude fing jetzt erst an. Ich wollte, du und ich wären auch dabeigewesen.



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