Rumpelstilzli.li - E-Learning für die ersten 3 Schuljahre

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Die Königstochter in der Flammenburg

Art: Märchen
AutorIn: unbekannt
Land: Deutschland
Sprecher: Tom Keymer

Es war einmal ein armer Mann, der hatte so viele Kinder wie Löcher in einem Sieb sind. Er hatte schon alle Leute in seinem Dorfe für seine Kinder als Paten gehabt. Als ihm nun wieder ein Söhnlein geboren wurde, setzte er sich an die Landstrasse, um den ersten besten als Paten zu bitten.

Da kam ein alter Mann in einem grauen Mantel. Den bat er, er möge Pate seines Kindes werden. Der alte Mann tat es auch gern, ging mit und half den Knaben taufen. Der alte Mann schenkte dem Armen eine Kuh mit einem Kalb, das an demselben Tage wie der Knabe zur Welt gekommen war. Es hatte vorn an der Stirne einen goldenen Stern, und das Kalb sollte dem Kleinen gehören.

Als der Junge grösser wurde, da war das Rind zu einem mächtigen Stier geworden. Mit dem ging er jeden Tag auf die Weide. Der Stier aber konnte sprechen. Wenn sie auf dem Berg angekommen waren, sagte er zu dem Jungen: »Bleibe du hier und schlaf, ich will mir schon meine Weide suchen!« Sowie der Hirte schlief, rannte der Stier wie der Blitz fort und kam auf die grosse Himmelswiese und frass goldene Sternblumen. Wenn die Sonne unterging, eilte er zurück und weckte den Knaben. Dann gingen sie nach Hause.

So ging es jeden Tag, bis der Junge zwanzig Jahre alt war. Da sprach der Stier eines Tages zu ihm: »Jetzt setze dich mir zwischen die Hörner, und ich trage dich zum König. Dann verlange von ihm ein sieben Ellen langes eisernes Schwert und sage, du wolltest seine Tochter erlösen!« Bald waren sie an der Königsburg. Der Hirte stieg ab, ging vor den König und sagte, warum er gekommen sei. Der gab ihm gern das verlangte Schwert, aber er hatte keine grosse Hoffnung, seine Tochter wiederzusehen.

Schon viele kühne Jünglinge hatten es vergeblich gewagt, sie zu befreien. Ein zwölfköpfiger Drache hatte sie entführt, und der wohnte weit weg. Niemand konnte bis dahin kommen. Denn es war auf dem Wege dahin ein hohes, unüberwindliches Gebirge. Dann kam ein weites, stürmisches Meer. Dahinter wohnte der Drache in einer Flammenburg. Wenn es nun auch jemandem gelungen wäre, über das Gebirge und das Meer zu kommen, so hätte er doch durch die mächtigen Flammen nicht hindurchdringen können. Und wenn er es doch gekonnt hätte, so hätte ihn der Drache umgebracht.

Als der Hirte das Schwert hatte, setzte er sich dem Stier zwischen die Hörner. Im Nu waren sie vor dem grossen Gebirge. »Da können wir wieder umkehren«, sagte er zum Stier, denn er hielt es für unmöglich, hinüberzukommen. Der Stier aber sprach: »Warte nur einen Augenblick!« und setzte den Knaben zu Boden. Kaum war das geschehen, so nahm er einen Anlauf und schob mit seinen gewaltigen Hörnern das ganze Gebirge auf die Seite, und sie konnten weiterziehen.

Nun setzte sich der Stier den Knaben wieder zwischen die Hörner, und bald waren sie am Meere angelangt. »Jetzt können wir umkehren«, sprach der Knabe, »denn da kann niemand hinüber!« — »Warte nur einen Augenblick«, sprach der Stier, »und halte dich an meinen Hörnern fest.« Da neigte er den Kopf zum Wasser und soff und soff das ganze Meer aus. Jetzt konnten sie trockenen Fusses wie auf einer Wiese weiterziehen.

Nun waren sie fast bei der Flammenburg. Aber da kam ihnen schon von weitem solche Hitze entgegen, dass der Knabe es nicht mehr aushalten konnte. »Halte!« rief er dem Stiere zu. »Nicht weiter, sonst müssen wir verbrennen.« Der Stier aber lief ganz nahe und spie auf einmal das Meer, das er getrunken hatte, in die Flammen. Da verlöschten sie gleich, und es gab einen mächtigen Qualm, von dem der ganze Himmel gleich mit Wolken bedeckt wurde.

Aber nun stürzte aus dem fürchterlichen Dampfe der zwölfköpfige Drache voll Wut hervor. »Nun kommst du dran!« sprach der Stier zu seinem Herrn. »Sieh zu, dass du dem Ungeheuer alle Köpfe  auf einmal abschlägst!«

Der nahm alle seine Kraft zusammen, fasste das gewaltige Schwert mit beiden Händen und versetzte dem Ungeheuer einen so geschwinden Schlag, dass alle Köpfe herunterflogen. Aber nun schlug und ringelte sich das Tier auf der Erde, dass sie erzitterte. Da nahm der Stier den Drachenrumpf auf seine Hörner und schleuderte ihn in die Wolken, so dass keine Spur mehr von ihm zu sehen war. Dann sprach er zum Knaben: »Mein Dienst ist nun zu Ende. Geh jetzt ins Schloss. Da findest du die Königstochter. Führe sie heim zu ihrem Vater!«

Damit rannte er fort auf die Himmelswiese, und der Knabe sah ihn nie wieder. Der Junge aber fand die Königstochter drinnen, und sie freute sich sehr, dass sie von dem garstigen Drachen erlöst war. Sie fuhren nun zu ihrem Vater, hielten Hochzeit, und es war eine grosse Freude im ganzen Königreiche.



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