Rumpelstilzli.li - E-Learning für die ersten 3 Schuljahre

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Das Spiegelbild

Art: Märchen
AutorIn: unbekannt
Land: Japan
Sprecher: Tom Keymer

Ein Mann lebte nach dem Tode seiner Frau mit seinem Sohn allein zusammen. Als der Vater sein Ende nahen fühlte, redete er dem Sohn zu, sich zu verheiraten. Der Sohn befolgte den Rat und lebte nach des Vaters Tode einträchtig mit seiner Frau zusammen.

Einmal, als er in der Hauptstadt Kyoto etwas zu erledigen hatte, sah er bei einem Händler einen Spiegel. Er betrachtete den unbekannten Gegenstand. Als er ihn in den Händen drehte, sah er plötzlich seinen verstorbenen Vater! Aber nicht so, wie er in seinen letzten Jahren ausgesehen hatte, sondern den jungen und kräftigen Vater aus seinen Kinderjahren. Der Vater schaute ihn aus dem merkwürdigen Ding heraus an. Schnell entschlossen erwarb er den Spiegel.

Zu Hause angekommen, verbarg er den Spiegel sorgfältig. Er ging täglich heimlich in das Zimmer, wo er ihn aufbewahrte, um dort einige Stunden mit seinem Vater zu verbringen. Denn er wusste nicht, dass das Gesicht, das ihm aus dem Spiegel entgegenblickte, sein eigenes Gesicht war.

Der Frau fiel dieses Benehmen auf. Als der Mann einmal das Haus verlassen hatte, ging sie in das Zimmer und fand den Spiegel. Neugierig blickte sie hinein und sah darin eine schöne, junge Frau. Bei der Rückkehr ihres Mannes schimpfte sie heftig mit ihm und beschuldigte ihn, sich eine Nebenfrau genommen zu haben, die er dort im Zimmer vor ihr verborgen halte.

Nachbarn versuchten, den Ehezwist zu schlichten und führten die beiden, die sich nicht beruhigen wollten, zur Äbtissin eines nahen Nonnenklosters. Diese sollte den Streitfall entscheiden. Der Mann behauptete, er wisse von keiner Nebenfrau, es sei sein verstorbener Vater, der in dem Ding da lebe. Die Frau blieb bei ihrer Behauptung.

Da die Äbtissin nicht wusste, wem sie recht geben solle, liess sie sich den Spiegel reichen, um selbst nachzuschauen, wer von den beiden die Wahrheit spräche. Als sie nun in den Spiegel blickte, sah sie darin ihr eigenes Gesicht mit dem kahlgeschorenen Kopf.

Daraufhin entschied sie: »Es ist wahr, dass sich dein Mann eine Nebenfrau genommen hat. Diese bedauert aber, der Anlass zu eurem Ehestreit geworden zu sein. Sie ist deshalb bereit, auf ihre Ansprüche zu verzichten, und um zu beweisen, dass ihre Absicht ehrlich und ihr Entschluss unabänderlich ist, hat sie beschlossen, Nonne zu werden, und sich deshalb die Haare abgeschoren. Ich werde sie also bei mir im Kloster behalten, und ihr geht beruhigt nach Hause und vertragt euch wieder.« Damit entliess sie das Ehepaar und behielt den Spiegel.



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