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Die Eule

Art: Märchen
AutorIn: Brüder Grimm
Land: Deutschland
Sprecher: Tom Keymer

ähnliche Geschichte: Die Schildbürger und der Maushund

Einmal war eine von den grossen Eulen, die man Schuhu nennt, aus dem benachbarten Walde in der Nacht in die Scheune eines Bürgers geraten. Wenn die anderen Vögel die Eule zu sehen bekamen, erhoben sie ein furchtbares Geschrei. Darum blieb die Eule in der Scheune.

Als nun der Hausknecht morgens in die Scheune kam, um Stroh zu holen, erschrak er bei dem Anblick der Eule gewaltig. Er lief sofort zu seinem Herrn und sagte, ein Ungeheuer sässe in der Scheune. Es drehe die Augen im Kopf herum und könne einen ohne Umstände verschlingen.

»Ich kenne dich schon,« sagte der Herr, »einer Amsel im Felde nachzujagen, dazu hast du Mut genug, aber wenn du ein totes Huhn liegen siehst, so holst du dir erst einen Stock, ehe du ihm nahe kommst. Ich muss nur selbst mal nachsehen, was das für ein Ungeheuer ist«. Er ging ganz tapfer in die Scheune hinein und blickte umher.

Als er aber das seltsame und gräuliche Tier mit eigenen Augen sah, so geriet er in nicht geringere Angst als der Knecht. Mit ein paar Sätzen sprang er hinaus, lief zu seinen Nachbarn und bat sie flehentlich, ihm gegen ein unbekanntes und gefährliches Tier Beistand zu leisten. Es könnte die ganze Stadt in Gefahr kommen, wenn es aus der Scheune, wo es sässe, herausbräche. 

Es entstand grosser Lärm und Geschrei in allen Strassen. Die Bürger kamen mit Spiessen, Heugabeln, Sensen und Äxten bewaffnet herbei, als wollten sie gegen den Feind ausziehen. Zuletzt erschienen auch die Herren des Rates mit dem Bürgermeister an der Spitze. Als sie sich auf dem Markt geordnet hatten, zogen sie zu der Scheune und umringten sie von allen Seiten.

Da trat einer der Mutigsten hervor und ging mit seinem Spiess hinein. Aber gleich darauf kam er mit einem Schrei und totenbleich wieder herausgelaufen. Er konnte kein Wort mehr hervorbringen. Noch zwei andere wagten sich hinein, es erging ihnen aber nicht besser.

Endlich trat ein grosser, starker Mann hervor. Er war wegen seiner Kriegstaten berühmt. Er sprach: »Mit blossem Ansehen werdet ihr das Ungetüm nicht vertreiben! Hier muss Ernst gemacht werden. Aber ich sehe, dass ihr alle zu Weibern geworden seid und keiner den Fuchs beissen will.«

Er liess sich Harnisch, Schwert und Spiess bringen und rüstete sich. Alle rühmten seinen Mut, obwohl viele um sein Leben besorgt waren. Die beiden Scheunentore wurden aufgetan, und man erblickte die Eule, die sich in die Mitte auf einen grossen Querbalken gesetzt hatte. Er liess eine Leiter herbeibringen.

Als er bald oben war und die Eule sah, dass er an sie wollte, da verdrehte sie die Augen, sträubte die Federn, sperrte die Flügel auf, schnappte mit dem Schnabel und liess ihr ’schuhu, schuhu’ mit rauer Stimme hören. »Stoss zu, stoss zu!« rief die Menge draussen dem tapferen Helden zu.

»Wer hier stände, wo ich stehe,« antwortete er, »der würde nicht ’stoss zu’ rufen.« Er setzte zwar den Fuss noch eine Stufe höher, dann aber fing er an zu zittern und machte sich halb ohnmächtig auf den Rückweg.

Nun war keiner mehr übrig, der sich in die Gefahr hätte begeben wollen. »Das Ungeheuer,« sagten sie, »hat den stärksten Mann, der unter uns zu finden war, durch sein Schnappen und Anhauchen allein vergiftet und tödlich verwundet. Sollen wir anderen auch unser Leben aufs Spiel setzen?«

Sie berieten, was zu tun wäre, damit nicht die ganze Stadt zu Grunde gehen sollte. Lange Zeit schien alles vergeblich, bis endlich der Bürgermeister einen Ausweg fand. Er sprach: »Wir sollten diese Scheune samt allem, was darin liegt, dem Eigentümer bezahlen. Dann aber brennen wir das ganze Gebäude und mit ihm das fürchterliche Tier ab. So braucht niemand sein Leben dafür einzusetzen.« Alle stimmten ihm bei. Also wurde die Scheune an vier Ecken angezündet, und mit ihr die Eule jämmerlich verbrannt.

Wer’s nicht glauben will, der gehe hin und frage selbst nach.



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