Rumpelstilzli.li - E-Learning für die ersten 3 Schuljahre

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Der faule Heinz

Art: Märchen
AutorIn: Brüder Grimm
Land: Deutschland
Sprecher: Tom Keymer

Heinz war faul. Er hatte weiter nichts zu tun, als seine Ziege täglich auf die Weide zu treiben. Wenn er abends nach Hause kam, seufzte er.

»Es ist in Wahrheit eine schwere Last«, sagte er, »und ein mühseliges Geschäft, so eine Ziege jahraus jahrein bis in den späten Herbst aufs Feld zu treiben. Wenn man sich dabei wenigstens hinlegen und schlafen könnte! Aber nein, da muss man die Augen aufhaben, damit sie die jungen Bäume nicht beschädigt, durch die Hecke in einen Garten dringt oder gar davonläuft. Wie soll da einer zur Ruhe kommen und seines Lebens froh werden!«

Er setzte sich, sammelte seine Gedanken und überlegte, wie er seine Schultern von dieser Last frei machen könnte. Lange war alles Nachsinnen vergeblich, plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. »Ich weiss, was ich tue«, rief er aus, »ich heirate die dicke Trine, die hat auch eine Ziege und kann meine mit hinaustreiben, so brauche ich mich nicht länger zu quälen.«

Heinz erhob sich also und setzte seine müden Glieder in Bewegung. Dann ging er quer über die Strasse zum Elternhaus der dicken Trine. Er hielt um ihre arbeitsame und tugendreiche Tochter an und bat darum, sie heiraten zu dürfen. Die Eltern besannen sich nicht lange: »Gleich und gleich gesellt sich gern«, meinten sie und willigten ein.

Nun wurde die dicke Trine die Frau von Heinz und trieb die beiden Ziegen aus. Heinz hatte gute Tage und brauchte sich von keiner andern Arbeit zu erholen als von seiner eigenen Faulheit. Nur dann und wann ging er mit hinaus und sagte: »Es geschieht bloss, damit mir die Ruhe danach desto besser schmeckt — man verliert sonst alles Gefühl dafür.«

Aber die dicke Trine war nicht weniger faul. »Lieber Heinz«, sprach sie eines Tages, »warum sollen wir uns das Leben ohne Not sauer machen und unsere beste Jugendzeit verkümmern?

Ist es nicht besser, wir geben die beiden Ziegen, die uns jeden Morgen mit ihrem Meckern im besten Schlafe stören, unserm Nachbarn. Und der gibt uns einen Bienenstock dafür? Den Bienenstock stellen wir an einen sonnigen Platz hinter das Haus und kümmern uns nicht weiter darum. Die Bienen brauchen nicht gehütet und nicht aufs Feld getrieben zu werden. Sie fliegen aus, finden den Weg nach Haus von selbst wieder und sammeln Honig, ohne dass es uns die geringste Mühe macht.«

»Du hast wie eine verständige Frau gesprochen«, antwortete Heinz, »deinen Vorschlag wollen wir ohne Zögern ausführen. Ausserdem schmeckt und nährt der Honig besser als die Ziegenmilch und lässt sich auch länger aufbewahren.«

Der Nachbar gab für die beiden Ziegen gerne einen Bienenstock. Die Bienen flogen unermüdlich vom frühen Morgen bis zum späten Abend aus und ein, und füllten den Stock mit dem schönsten Honig, so dass Heinz im Herbst einen ganzen Krug voll herausnehmen konnte.

Sie stellten den Krug auf ein Brett, das oben an der Wand in ihrer Schlafkammer befestigt war. Sie fürchteten aber, er könnte ihnen gestohlen werden oder die Mäuse könnten darüber herfallen. So holte Trine einen starken Haselstock herbei und legte ihn neben ihr Bett, damit sie ihn, ohne unnötigerweise aufzustehen, mit der Hand erreichen und die ungebetenen Gäste von dem Bette aus verjagen könnte.

Der faule Heinz verliess das Bett nicht gerne vor Mittag. Eines Morgens, als er so am hellen Tage noch in den Federn lag und von dem langen Schlaf ausruhte, sprach er zu seiner Frau: »Die Weiber lieben die Süssigkeit. Du hast von dem Honig genascht! Bevor er von dir allein ausgegessen wird ist es besser, dass wir dafür eine Gans mit einem jungen Gänslein eintauschen.«

»Aber nicht eher«, erwiderte Trine, »als bis wir ein Kind haben, das sie hütet. Soll ich mich etwa mit den jungen Gänsen plagen und meine Kräfte dabei unnötigerweise verbrauchen?« »Meinst du«, sagte Heinz, »der Junge werde Gänse hüten? Heutzutage gehorchen die Kinder nicht mehr. Sie tun nach ihrem eigenen Willen, weil sie sich klüger fühlen als die Eltern«.

»Oh«, antwortete Trine, »dem soll es schlecht bekommen, wenn er nicht tut, was ich sage. Einen Stock will ich nehmen und mit ungezählten Schlägen ihm die Haut verhauen. Siehst du, Heinz,« rief sie in ihrem Eifer und fasste den Stock, mit dem sie die Mäuse verjagen wollte, »siehst du, so will ich auf ihn losschlagen.«

Sie holte aus, traf aber unglücklicherweise den Honigkrug über dem Bett. Der Krug sprang gegen die Wand und fiel in Scherben herab, und der schöne Honig floss auf den Boden. »Da liegt nun die Gans mit dem jungen Gänslein«, sagte Heinz, »und braucht nicht gehütet zu werden. Aber ein Glück ist es, dass mir der Krug nicht auf den Kopf gefallen ist, wir haben alle Ursache, mit unserm Schicksal zufrieden zu sein.«

Und da er in einer Scherbe noch etwas Honig bemerkte, so langte er danach und sprach ganz vergnügt: »Das Restchen, Frau, wollen wir uns noch schmecken lassen und dann nach dem gehabten Schrecken ein wenig ausruhen. Was macht’s, wenn wir etwas später als gewöhnlich aufstehen, der Tag ist doch noch lang genug.«

»Ja«, antwortete Trine, »man kommt immer noch zu rechten Zeit!  Weisst du, die Schnecke war einmal zur Hochzeit eingeladen und machte sich auf den Weg. Sie kam aber erst zur Kindstaufe an. Vor dem Hause stürzte sie noch über den Zaun und sagte: Eilen tut eben nicht gut!«



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