Rumpelstilzli.li - E-Learning für die ersten 3 Schuljahre

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Das Eselein

Art: Märchen
AutorIn: Brüder Grimm
Land: Deutschland
Sprecher: Tom Keymer

Es lebte einmal ein König und eine Königin. Sie waren reich und hatten alles, was sie sich wünschten, nur keine Kinder. Darüber klagte die Königin Tag und Nacht und sprach: »Ich bin wie ein Acker, auf dem nichts wächst.« Endlich erfüllte Gott ihre Wünsche. Als das Kind aber zur Welt kam, sah’s nicht aus wie ein Menschenkind, sondern war ein junges Eselein.

Wie die Mutter das erblickte, fing ihr Jammer und Geschrei erst recht an. Sie hätte lieber gar kein Kind gehabt als einen Esel und sagte, man solle ihn ins Wasser werfen, damit ihn die Fische frässen. Der König aber sprach: »Nein, hat Gott ihn gegeben, soll er auch mein Sohn und Erbe sein und nach meinem Tod auf dem königlichen Thron sitzen und die königliche Krone tragen.«

Also wurde das Eselein aufgezogen. Es nahm zu, und die Ohren wuchsen ihm auch fein hoch und gerade hinauf. Es war aber sonst fröhlicher Art, sprang herum, spielte und hatte besonders Lust an der Musik. So ging es zu einem berühmten Spielmann und sprach: »Lehre mich deine Kunst, dass ich die Laute so gut schlagen kann wie du.«

»Ach, liebes Herrlein«, antwortete der Spielmann, »das wird euch schwerfallen, eure Finger sind nicht dazu gemacht und gar zu gross. Ich glaube, die Saiten halten das nicht aus.« Es half keine Ausrede. Das Eselein wollte und musste die Laute spielen. Es war beharrlich und fleissig und lernte es am Ende so gut wie sein Meister es konnte.

Einmal ging das junge Herrlein nachdenklich spazieren und kam an einen Brunnen. Da schaute es hinein und sah im spiegelhellen Wasser seine Eselsgestalt. Darüber war es so betrübt, dass es in die weite Welt ging und nur einen getreuen Gesellen mitnahm. Sie zogen weit herum. Zuletzt kamen sie in ein Reich, wo ein alter König herrschte, der nur eine einzige, aber wunderschöne Tochter hatte. Das Eselein sagte: »Hier wollen wir bleiben«, klopfte ans Tor und rief: »Es ist ein Gast draussen, macht auf, damit er hereinkommen kann.«

Das Tor wurde nicht aufgemacht. Da setzte es sich hin, nahm seine Laute und schlug sie mit seinen zwei Vorderfüssen aufs Lieblichste. Da sperrte der Torhüter gewaltig die Augen auf, lief zum König und sprach: »Da draussen sitzt ein junges Eselein vor dem Tor, das schlägt die Laute so gut wie ein gelernter Meister.«

»So lass mir den Musikant hereinkommen«, sprach der König. Wie aber ein Eselein hereintrat, fing alles an, über den Lautenschläger zu lachen. Nun sollte das Eselein unten bei den Knechten sitzen und essen. Es wurde aber unwillig und sprach: »Ich bin kein gewöhnliches Stall-Eselein, ich bin ein vornehmes.«

Da sagten sie: »Wenn du das bist, so setze dich zu dem Kriegsvolk«. »Nein«, sprach es, »ich will beim König sitzen.« Der König lachte und sprach: »Ja, es soll so sein, wie du verlangst, Eselein, komm her zu mir.« Danach fragte er: »Eselein, wie gefällt dir meine Tochter?« Das Eselein drehte den Kopf nach ihr, schaute sie an, nickte und sprach: »Sie ist so schön, wie ich noch keine gesehen habe.« »Nun, so sollst du auch neben ihr sitzen«, sagte der König.

»Das ist mir eben recht«, sprach das Eselein und setzte sich an ihre Seite, ass und trank und wusste sich fein und säuberlich zu betragen. Als das edle Tier eine gute Zeit an des Königs Hof geblieben war, dachte es: »Was hilft das alles, du musst wieder heim«. Es hatte Heimweh und liess den Kopf traurig hängen. Dann trat es vor den König und verlangte seinen Abschied.

Der König hatte es aber liebgewonnen und sprach: »Eselein, was ist mit dir? Du schaust ja sauer wie ein Essigkrug. Bleib bei mir, ich will dir geben, was du verlangst. Willst du Gold?« »Nein«, sagte das Eselein und schüttelte mit dem Kopf. »Willst du Kostbarkeiten und Schmuck?« »Nein.« »Willst du mein halbes Reich?« »Ach nein.«

Da sprach der König: »Wenn ich nur wüsste, was dich vergnügt machen könnte. Willst du meine schöne Tochter zur Frau?« »Ach ja,« sagte das Eselein, »die möchte ich wohl haben«. Es war auf einmal ganz lustig und guter Dinge, denn das war’s gerade, was es sich gewünscht hatte. Also wurde eine grosse und prächtige Hochzeit gehalten.

Abends, wie Braut und Bräutigam in ihre Schlafkammer geführt wurden, wollte der König wissen, ob sich das Eselein auch fein artig und manierlich benehme. Darum befahl er einem Diener, sich dort zu verstecken. Wie sie nun beide drinnen waren, schob der Bräutigam den Riegel vor die Türe. Er blickte sich um, und als er glaubte, dass sie ganz allein wären, da warf er auf einmal seine Eselshaut ab. Da stand er als ein schöner, königlicher Jüngling. »Nun siehst du«, sprach er, »wer ich bin, und siehst auch, dass ich deiner nicht unwert war.«

Da war die Braut froh, küsste ihn und hatte ihn von Herzen lieb. Als aber der Morgen herankam, sprang er auf, zog seine Tierhaut wieder über. Kein Mensch hätte gedacht, wer dahinter steckte. Bald kam auch der alte König gegangen. »Ei«, rief er, »ist das Eselein schon munter! Du bist wohl recht traurig«, sagte er zu seiner Tochter, »dass du keinen ordentlichen Menschen zum Mann bekommen hast?« »Ach nein, lieber Vater, ich habe ihn so lieb, als wenn er der Allerschönste wäre und will ihn mein Leben lang behalten.«

Der König wunderte sich. Aber der Diener, der sich versteckt hatte, kam und erzählte ihm alles. Der König sprach: »Das ist nimmermehr wahr!« »So wacht selber die folgende Nacht, Ihr werdet es mit eigenen Augen sehen. Und wisst Ihr was, Herr König, nehmt ihm die Haut weg und werft sie ins Feuer. So muss er sich wohl in seiner rechten Gestalt zeigen.« »Dein Rat ist gut«, sprach der König. Als seine Tochter und sein Schwiegersohn am Abend schliefen, schlich er sich hinein.

Als er zum Bett kam, sah er im Mondschein einen stolzen Jüngling da liegen, und die Haut lag abgestreift auf der Erde. Da nahm er sie weg und liess draussen ein gewaltiges Feuer anmachen und die Haut hineinwerfen. Er blieb selber dabei, bis sie ganz zu Asche verbrannt war. Weil er aber sehen wollte, wie sich der Beraubte anstellen würde, blieb er die Nacht über wach und lauschte. Als der Jüngling ausgeschlafen hatte, stand er auf und wollte die Eselshaut anziehen, aber sie war nicht zu finden. Da erschrak er und sprach voll Trauer und Angst: »Nun muss ich sehen, dass ich entfliehe.«

Wie er hinaustrat, stand aber der König da und sprach: »Mein Sohn, wohin so eilig, was hast du im Sinn? Bleib hier, du bist ein so schöner Mann, du sollst nicht wieder von mir fortgehen. Ich gebe dir jetzt mein halbes Reich, und nach meinem Tod bekommst du es ganz.«

»So wünsche ich, dass der gute Anfang auch ein gutes Ende nehme«, sprach der Jüngling, »ich bleibe bei euch.« Da gab ihm der Alte das halbe Reich, und als er nach einem Jahr starb, hatte er das ganze. Und nach dem Tode seines Vaters noch eins dazu und sie lebten in aller Herrlichkeit.



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