Rumpelstilzli.li - E-Learning für die ersten 3 Schuljahre

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Der Zauberer und sein Lehrling

Art: Märchen
AutorIn: unbekannt
Land: Deutschland
Sprecher: Tom Keymer

Es war einmal ein Vater, der hatte drei Söhne: den Jörg, den Michel und den Hans. Der Jörg und der Michel waren tüchtige, fleissige Kerle, aber mit dem Hans hatte der Vater sein Kreuz! Bei allen Arbeiten stellte er sich ungeschickt an, es war gar nichts Rechtes mit ihm anzufangen.

Den ganzen Tag trieb er sich herum und spielte mit Hunden und Katzen, denen er allerlei Kunststücke beibrachte. Oder er legte sich auf den Buckel und guckte in den Himmel. Deswegen wurde er auch nur der Himmelsgucker genannt. Der Vater wäre froh gewesen, wenn er den Hans losgeworden wäre, aber kein Mensch wollte ihn in Dienst nehmen.

Eines Tages musste Hans in den Wald hinaus, zum Holzsammeln. Da kam ein fremder Mann zu ihm und fragte ihn, wer er sei, und wie es ihm gehe. Hans erzählte ehrlich, wie er war und dass man ihn nur den dummen Hans oder den Himmelsgucker rufe. »Einen solchen Kerl kann ich brauchen«, sagte der Mann zu sich selbst, »den ding ich mir.«

Er ging mit Hans heim und sprach mit dem Vater. Der Alte war froh, den Hans loszuwerden, und so wurde er mit dem fremden Mann bald einig. Hans musste sein Bündel zusammenpacken und ging mit dem Fremden fort. Es tat ihm aber gar nicht Leid, weil er daheim nur geschimpft worden war und auch oft Schläge bekommen hatte.

Sie waren lange unterwegs und Hans war schon recht müd. Da kamen sie zu einem Wirtshaus. In der Wirtsstube sassen viele merkwürdige Leute. Aber als Hans die Wirtin sah, wäre er fast ohnmächtig geworden, so toll sah sie aus. »Das ist eine Hexe«, dachte Hans bei sich. Sein Herr aber war sehr vertraut mit der Wirtin. »Die kennen sich aber gut«, dachte Hans, »aber mir kann es ja egal sein!«

Er ass und trank, was das Zeug hielt, denn so gut hatte er in seinem Leben noch nie gegessen und getrunken. Danach musste er sich niederlegen, und auch das war ihm recht. In einem so schönen, weichen Bett hatte er sein Lebtag noch nie geschlafen. Er war also recht zufrieden und dachte: »Es ist doch schöner als zu Hause!«

Am frühen Morgen kam sein Herr und weckte ihn auf. »Hallo, Hans, raus!« sagte er, »jetzt geht’s weiter.« Hans rieb sich die Augen, stand auf und zog sich an. Und als sie gefrühstückt hatten, ging es fort. Sie liefen immer tiefer in den Wald hinein, und Hans kannte sich gar nicht mehr aus. Endlich kamen sie an ein Häuschen. »So, jetzt sind wir da«, sagte der Herr, »das ist mein Haus!«

Er schloss die Tür auf und führte Hans in das Häuslein. »Du sollst es gut haben bei mir«, sagte der Herr. »Essen und trinken darfst du, was dir schmeckt. Und die Arbeit ist auch nicht schwer. Du musst die Katze füttern — aber lass sie ja keinen Hunger leiden! Und wenn ich koche, musst du mir Holz und Wasser tragen, das Feuer anmachen und die Kartoffeln schälen.« Hans tat alles, was ihm sein Herr befahl, und der Herr war auch recht zufrieden mit ihm.

Eines Tages sagte der Herr: »Höre, Hans, ich gehe fort und du musst allein daheim bleiben. Schliesse abends immer gut zu und lass keinen Menschen ins Haus! Kochen kannst du dir, was du willst, Zeug genug ist da!« Hans versprach, alles richtig zu machen, und der Herr ging fort.

Die erste Zeit werkelte Hans so im Haus herum. Aber langsam wurde es ihm langweilig. Als er wieder einmal im Haus herumstöberte, fand er einen Kasten Bücher. »Gott sei Dank!« sagte sich der Hans, »jetzt hab ich etwas zum Lesen.« Er fing gleich an, in den Büchern zu lesen. Aber er verstand vieles nicht, denn da waren so viele Zeichen und Schnörkel darin, die er nicht kannte. Endlich ging dem Hans ein Licht auf: das mussten Zauberbücher sein, und sein Herr war wohl ein Hexenmeister! Sobald nun Hans jeweils seine Arbeit getan hatte, setzte er sich über die Bücher und grübelte drin rum. Darüber verging ihm die Zeit, und er merkte gar nicht, dass er allein war. Und nach einem halben Jahr konnte Hans die Bücher alle auswendig und verstand sich auch aufs Hexen perfekt.

Eines Tages ging er in den Wald hinein, um Holz zu sammeln. Als er wieder heimkehrte, fand er die Tür offenstehen. Er wunderte sich, weil er doch wusste, dass er zugeschlossen hatte. In der Stube aber stand sein Herr, der hatte ein Buch in der Hand und zitterte vor Zorn. »Du Schlingel!« schrie er, »du hast in meinen Büchern gelesen! Sicher hast du auch das Hexen gelernt!« Hans merkte, dass es jetzt gefährlich werden könnte und er floh. Er dachte: »Das Ausreissen hat kein Dummer erdacht!«

Aber kaum war er vor die Tür gekommen, war der Hexenmeister schon hinter ihm. Hans besann sich nicht lange, machte sich zu einem Adler und flog auf und davon. Der Hexenmeister lief in die Stube, holte sein Gewehr und schoss auf den Adler. Aber Hans hatte sich kugelsicher gemacht. Die Kugel tat ihm nichts und er flog ruhig weiter. Da dachte der Hexenmeister: »Der kann es besser als ich, den muss ich mit List drankriegen, Gewalt hilft da nicht.«

Als der Hans über den Wald hinaus geflogen war, guckte er sich um. Als er nichts Verdächtiges mehr sah, flog er zur Erde und machte sich wieder zu einem Menschen. Es war ihm aber doch nicht wohl in seiner Haut. Er konnte sich ja denken, dass ihn der Hexenmeister auf Schritt und Tritt verfolgen würde. Auf einmal sah er über sich einen Geier fliegen und erkannte gleich seinen Herrn. So verwandelte er sich in einen Gaul und galoppierte, was er konnte.

Während er so dahin jagte, sah er einen Bauern. Auf den hielt er zu. Der Bauer dachte, es sei ein durchgegangener Gaul und fing ihn ein. Hans liess sich das ruhig gefallen. Nicht lange danach kam ihnen ein nobler Herr entgegen, der wollte den Gaul kaufen. Dem Hans wurde es angst und bange, denn er kannte den noblen Herrn: es war niemand anderer als der Hexenmeister. Darum sagte er leise zum Bauern: »Verkauf mich nicht!« Darüber wäre der Bauer fast ohnmächtig geworden. Denn ein Gaul, der reden konnte, war ihm etwas Neues. Und weil schliesslich nicht jeder einen redenden Gaul hatte, wollte er ihn erst recht nicht verkaufen. Er führte ihn heim in seinen Stall.

Im Stall aber hielt es Hans nicht lange aus. Er machte sich zu einer Fliege und flog durch ein Fenster davon. Wie er so dahinflog, sah er unter sich den Hexenmeister gehen! Aber auch der hatte Hans bald bemerkt und verwandelte sich in eine Schwalbe und flog dem Hans nach. Fast hätte er ihn geschnappt, aber Hans machte sich schnell zu einem Fingerring und fiel einem Mädchen vor die Füsse. Das Mädchen sah den Ring, hob ihn auf und steckte ihn an seinen Finger. Und er passte auch recht schön.

Alle Tage kam nun ein Mann, der dem Mädchen den Ring abkaufen wollte. Doch das Mädchen gab ihn nicht her. Einmal, als der Fremde wieder lange umsonst gehandelt hatte, wollte er dem Mädchen den Ring mit Gewalt nehmen. Da fiel der Ring auf den Boden und wurde zu lauter Hirsekörnern. Und der fremde Mann — es war der Hexenmeister — machte sich zu einem Hahn und frass die Hirsekörner auf. Dann flog er davon.

Wenn aber der Hexenmeister glaubte, er hätte den Hans vertilgt, so hatte er sich getäuscht. Er hatte ein Hirsekörnchen übersehen, das der Hans selber war. Dieses Hirsekörnchen war dem Mädchen in den Pantoffel gefallen. Nun verwandelte sich Hans wieder in seine richtige Gestalt und fragte das Mädchen, das ihn schon als Ring an der Hand getragen hatte, ob es ihn heiraten wolle. Das Mädchen fand Gefallen an Hans und wurde seine Frau.

Sie lebten lange und glücklich miteinander. Nie aber hat Hans seiner Frau von seiner Hexenkunst erzählt. Und er hat sich auch selbst nicht mehr darin versucht, weil er schon beim ersten Mal so viel Angst hatte ausstehen müssen. Wenn einmal die Rede aufs Hexen kam, soll der Hans immer gesagt haben: »Das ist nichts für brave Leute.«



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