Rumpelstilzli.li - E-Learning für die ersten 3 Schuljahre

...zurück zur Übersicht

Text-Erklärungen sind anaus
alle Erklärungen anzeigenFragen zur Geschichte beantwortenGeschichte hören und mitlesenGeschichte und Fragen als PDF downloaden

Töpfchen koch!

Art: Märchen
AutorIn: unbekannt
Land: Tschechien
Sprecher: Tom Keymer

(Die gleiche Geschichte heisst bei den Brüdern Grimm: Der süsse Brei)
ähnliches Märchen: Warum das Meerwasser salzig ist

In einem Dorfe lebte eine arme Witwe mit ihrer Tochter. Sie wohnten in einer alten Hütte mit einem zerfetzten Strohdach und hatten auf dem Dachboden einige Hühner. Im Winter ging die Alte in den Wald, um Holz zu sammeln. Im Sommer ging sie Erdbeeren suchen. Im Herbst ging sie auf die Felder und las die liegen gebliebenen Ähren auf. Die Tochter trug die Eier, die ihnen die Hennen gelegt hatten, in die Stadt zum Verkauf. So ernährten sie sich miteinander.

Einmal im Sommer wurde die Alte ein wenig krank. Da musste die Tochter allein in den Wald, um Erdbeeren zu suchen. Sie nahm einen Topf und ein Stück Schwarzbrot und ging. Als sie den Topf voller Erdbeeren hatte, kam sie im Wald zu einer Quelle. Da setzte sie sich an die Quelle, nahm das Brot aus der Schürze und begann zu essen. Es war grade Mittag.

Auf einmal stand eine alte Frau da. Sie sah aus wie eine Bettlerin und hielt in der Hand ein Töpfchen. »Ach, meine goldene Jungfer«, sagte die Bettlerin, »das möchte ich essen! Seit gestern früh habe ich nicht ein Stückchen Brot im Mund gehabt. Würdest du mir nicht ein Stück von dem Brot geben?«

»Ja, warum nicht«, sagte das Mädchen, »wenn Ihr wollt, könnt Ihr auch das ganze haben, denn ich gehe ja nach Hause. Wird es Euch denn nicht zu hart sein?«, und sie gab ihr das ganze Brotstück.

»Vergelt’s Gott, meine goldene Jungfer, vergelt’s Gott! — Aber Jungfer, weil du so gut bist, muss ich dir auch etwas geben. Ich gebe dir hier dieses Töpfchen. Wenn du es zu Hause auf den Tisch stellst und sagst: Töpfchen koch!, kocht es dir so viel Brei, wie du haben willst. Und wenn du meinst, du hast genug Brei, dann sag: Töpfchen genug! Und sofort hört es auf zu kochen. Nur vergiss nicht, was du sagen musst.« — So übergab sie ihr das Töpfchen und war auf einmal wieder verschwunden, das Mädchen wusste gar nicht, wohin.

Als sie nach Hause kam, erzählte sie der Mutter, was ihr im Wald passiert war und stellte gleich das Töpfchen auf den Tisch und sagte: »Töpfchen koch!« Sie wollte herausfinden, ob die Bettlerin sie nicht angelogen hatte. Aber sofort begann im Töpfchen vom Boden her ein Brei zu kochen, und es wurde mehr und mehr davon, und bevor einer bis zehn gezählt hatte, war das Töpfchen schon voll. »Töpfchen genug!«, und das Töpfchen hörte auf zu kochen.

Sie setzten sich beide und assen mit Lust: ein Brei wie von Mandeln! Als sie sich satt gegessen hatten, legte die Tochter einige Eier in ihr Körbchen und trug sie in die Stadt. Aber dort musste sie lange damit auf dem Markt sitzen. Man wollte ihr nicht genug dafür geben, und erst am späten Abend verkaufte sie die Eier.

Zu Hause konnte es die Alte nicht erwarten, bis die Tochter nach Hause kam. Sie wollte auch schon essen und hatte wieder Lust auf den Brei. Sie nahm darum das Töpfchen, stellte es auf den Tisch und sagte: »Töpfchen koch!« Gleich begann der Brei in dem Töpfchen zu kochen, und die Alte hatte sich kaum umgedreht, da war es schon voll.

»Ich muss mir auch ein Schüsselchen und einen Löffel holen«, sagte die Alte zu sich und ging darum in die Kammer. Aber als sie zurückkam, blieb sie vor Schrecken wie vom Donner gerührt stehen: der Brei wälzte sich in vollem Fluss aus dem Töpfchen auf den Tisch, vom Tisch auf die Bank und von der Bank auf den Boden. Die Alte hatte vergessen, was sie sagen soll, damit das Töpfchen zu kochen aufhört. Sie sprang hinzu und deckte das Töpfchen mit dem Schüsselchen zu. Sie dachte, dass sie damit den Brei zum Stehen bringen könnte.

Aber das Schüsselchen fiel auf den Boden und zerbrach. Und der Brei wälzte sich unaufhörlich herunter wie ein Hochwasser. Die Stube war schon so voll davon, dass die Alte von da in das Vorhaus fliehen musste. Sie rang die Hände und jammerte: »Ach, das Unglücksmädchen, was hat sie da gebracht! Ich habe mir gleich gedacht, das ist nichts Gutes!«

Nach einer Weile floss der Brei schon aus der kleinen Stube über die Schwelle in das Vorhaus. Je mehr von ihm da war, desto mehr kam dazu. Die Alte kroch in ihrer Angst auf den Dachboden und jammerte weiter, was das Unglücksmädchen da heimgebracht habe. Inzwischen wurde der Brei immer mehr und mehr. Es dauerte nicht lange, da wälzte er sich schon dick wie eine Wolke durch die Tür und das Fenster auf den Dorfplatz, auf die Strasse. Und wer weiss, welches Ende das noch genommen hätte, wäre jetzt nicht zum Glück grade die Tochter zurückgekehrt und hätte geschrien »Töpfchen genug!«.

Aber auf dem Dorfplatz war schon so ein Breihügel, dass die Bauern, als sie jetzt abends von der Arbeit heimfuhren, gar nicht hindurchfahren konnten und sich durch den Brei auf die andere Seite durchessen mussten.



...nach oben