Rumpelstilzli.li - E-Learning für die ersten 3 Schuljahre

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Die Kassette

Art: Schwank
AutorIn: unbekannt
Land: Frankreich
Sprecher: Tom Keymer

Ein Mann und eine Frau, die schon alt waren, lebten in einem Haus am Wegrand. Sie waren arm und verdienten ihr Leben mit Landarbeit.

Eines Tages, als sie nach Hause gingen, fanden sie am Wegrand eine Kassette, die gewiss aus einem Reisewagen gefallen war. Sie nahmen sie mit nach Hause. Als sie sie öffneten, fanden sie, dass die Kassette bis zum Rande mit Gold- und Silberstücken und kostbaren Schmucksachen angefüllt war.

»Das ist bestimmt ein Vermögen wert«, sagte der Mann. »So ein Pech, dass wir es den Leuten zurückgeben müssen, die es verloren haben, sobald sie es fordern.«

»Ich denke gar nicht daran, es zurückzugeben«, sagte die Frau. »Wenn es gefordert werden sollte, sage ich, wir hätten nichts gefunden.« »Ohhh!« erwiderte der Mann. »Das hiesse ja lügen und stehlen. Ich sage, dass wir es gefunden haben.« Die Frau widersprach nicht, aber sie traf ihre Vorsichtsmassnahmen.

Am folgenden Tag, sehr früh am Morgen, sobald sie aufgestanden waren, sagte sie zu ihrem Mann: »Wer weiss, wenn niemand die Kassette zurückfordert, sind wir vielleicht bald reich. Du kannst ja nicht einmal lesen und schreiben. Du musst in die Schule gehen, um es zu lernen, und gleich von heute morgen an.«

»Wie stellst du dir das vor? Ich in meinem Alter soll noch lernen? Die Schulbuben werden sich über mich lustig machen und mich für einen Trottel halten.«

Aber die Frau bestand so fest darauf, dass er schliesslich nachgab. Sie machte ihm ein Frühstückskörbchen zurecht, wie für die Buben, die in die Schule gehen, und er zog los.

Als er abends nach Hause kam, wartete seine Frau schon auf ihn. Sie hatte Eierkuchen und Krapfen gebacken. Als sie ihn kommen sah, war sie schnell auf den Speicher gestiegen und warf sie aus dem Bodenfenster hinaus. Der Mann glaubte nicht anders, als dass die Eierkuchen und Krapfen vom Himmel fielen und rief: »Frau, Frau, es regnet Eierkuchen! Frau, Frau, es regnet Krapfen!« »Na, dann iss doch, wenn du magst«, erwiderte sie.

Dann erzählte er, der Lehrer hätte ihn nicht hereinlassen wollen.  Die Schulbuben wären über seinen Frühstücks-korb hergefallen und hätten sich über ihn lustig gemacht. Todmüde ass er seine Suppe. Dann ging er zu Bett. Als er eingeschlafen war, legte seine Frau ihm ein Hühnerei ins Bett. Als er aufwachte, fühlte er, dass da etwas neben ihm lag, und er fand das Ei.

»Frau, Frau, ich habe ein Hühnerei gelegt!« »Na, Alter, du machst wohl unsern Hühnern Konkurrenz!«

Einige Tage später kamen zwei feine Herren zu ihnen ins Haus und fragten, ob sie nicht eine Kassette gefunden hätten. »Nein, gute Herren, wir haben nichts gefunden«, sagte die Frau. »Doch, doch«, sagte der Mann, »wir haben eine Kassette gefunden. Sie ist hier!« »Ach, gute Herren«, sagte die Frau, »was habe ich für ein Pech! Mein armer Mann ist nicht mehr richtig im Kopf. Er ist wieder in der Kindheit. Fragt ihn doch, ob er noch weiss, wann wir die Kassette gefunden haben!«

»Ja«, sagte er, »das war am Tage, bevor ich zum ersten Male in die Schule ging. Abends regnete es Eierkuchen und Krapfen, und in der Nacht darauf habe ich ein Hühnerei gelegt.«

»Ach, gute Frau«, sagten die Herren, »wir sehen, welch grosses Pech ihr habt, denn euer Mann ist nicht ganz richtig im Kopf.«

Sie gingen fort und schenkten ihr einige Münzen, als wäre sie eine arme, unglückliche Frau.



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