Rumpelstilzli.li - E-Learning für die ersten 3 Schuljahre

...zurück zur Übersicht

Text-Erklärungen sind anaus
alle Erklärungen anzeigenFragen zur Geschichte beantwortenGeschichte hören und mitlesenGeschichte und Fragen als PDF downloadenBildergalerie

Der fliegende Koffer

Art: Märchen
AutorIn: H. Chr. Andersen
Land: Dänemark
Sprecher: Tom Keymer

Es war einmal ein Kaufmann, der war so reich, dass er die ganze Strasse und fast noch eine kleine Gasse mit Silbergeld pflastern konnte. Aber das tat er nicht, er wusste sein Geld anders anzuwenden. Und gab er einen Groschen aus, so bekam er einen Taler wieder.

Als er starb, bekam sein Sohn all dieses Geld. Der aber war leichtsinnig und gab es mit vollen Händen aus. Bald war aller Reichtum weg und damit auch die Freunde. Alles, was ihm blieb, waren vier Groschen, ein alter Schlafrock und ein Paar Pantoffeln.

Einer der verlorenen Freunde, der gutmütiger war als die anderen, sandte ihm einen alten Koffer mit der Bemerkung ’Pack ein!’ Da er aber nichts einzupacken hatte, setzte er sich selbst in den Koffer.

Das war ein merkwürdiger Koffer: Sobald man an das Schloss drückte, konnte der Koffer fliegen. Unser Bruder Leichtfuss drückte, und sogleich flog er mit dem Koffer hoch über die Wolken hinauf und bis in das Land der Türken hinein. Und wenn der alte Koffer auch manchmal beängstigend krachte, so konnte er doch gesund und völlig unverletzt landen.

Er verbarg den Koffer im Wald und ging dann in die Stadt hinein. Es war ein wahres Glück, dass bei den Türken alle in Schlafrock und Pantoffeln herumliefen!

»Höre«, fragte er eine Frau, »wer wohnt in dem Schloss, in dem die Fenster so hoch sind?« »Da wohnt die Tochter des Königs«, erwiderte die Frau. »Es ist prophezeit, dass sie über einen Geliebten sehr unglücklich werden würde, und deshalb darf niemand zu ihr kommen, wenn nicht der König und die Königin auch dabei sind!« »Danke«, sagte der Kaufmannssohn, ging hinaus in den Wald, setzte sich in seinen Koffer und flog direkt vor die Fenster der Prinzessin.

Sie ruhte auf einem Diwan und war sehr schön. Er erzählte ihr viele Märchen, und zum Schluss hielt er um ihre Hand an. Und weil sie glaubte, er sei der Türkengott, sagte sie gleich ja. Sie lud ihn für den kommenden Samstag ein, denn sie wollte ihn ihren Eltern vorstellen. Als Brautgabe aber sollte er nichts als ein Märchen mitbringen. Zum Abschied schenkte sie ihm einen Säbel, der mit Goldstücken besetzt war. Die Goldstücke konnte er gerade gebrauchen.

Er flog fort, kaufte sich einen neuen Schlafrock und sass dann draussen im Walde und erfand ein Märchen. Es musste bis zum Samstag fertig sein, und das war nicht leicht. Es wurde fertig — und da war es auch schon Samstag. Der König und die Königin warteten mit dem Tee bei der Prinzessin. Der Kaufmannssohn wurde freundlich empfangen. Er erzählte ihnen das Märchen von den Streichhölzern und hatte grossen Erfolg damit.

Was, du kennst das Märchen von den Streichhölzern nicht? Ich will es dir ein andermal erzählen.

»Das war ein herrliches Märchen!« sagte die Königin. »Nun sollst du unsere Tochter haben.« »Jawohl«, sagte der König, »du sollst unsere Tochter am Montag haben!« Nun sagten sie DU zu ihm, da er ja fortan zur Familie gehören sollte. Am Abend vor der Hochzeit wurde die ganze Stadt beleuchtet, Zwieback und Brezeln wurden ausgeteilt, die Strassenjungen riefen ’hurra’ und pfiffen auf den Fingern. Alles war ausserordentlich prachtvoll!

»Ja, ich muss wohl auch etwas tun!« dachte der Kaufmannssohn. Er kaufte Raketen, Knallerbsen und alles Feuerwerk, was man erdenken konnte, legte es in seinen Koffer und flog damit in die Luft. Das gab einen Riesenspektakel: Es zischte, krachte und pfiff, es leuchtete und strahlte in allen Farben! Alle Türken hüpften dabei so in die Höhe, dass ihnen die Pantoffeln um die Ohren flogen!
Solche Lufterscheinungen hatten sie noch nie gesehen! Nun konnten sie begreifen, dass es der Türkengott selbst war, der die Prinzessin haben sollte.

© 2011 bei Vita, 7 Jahre alt (Feuerwerk am Himmel)Endlich hatte der Kaufmanns-sohn alle Feuerwerkskörper abgebrannt und hätte nun zu gerne gewusst, was die Leute in den Strassen darüber sprachen. Von seinem Koffer aus konnte er das nicht erfahren. Deshalb brachte er den Koffer in sein Versteck im Wald zurück und machte sich auf den Weg in die Stadt, um dort unerkannt ein wenig herumzuhorchen.

Was doch die Leute alles erzählten! Ein jeder, den er danach fragte, hatte es auf seine Weise gesehen, aber schön hatten es alle gefunden. »Ich sah den Türkengott selbst«, sagte der eine. »Er hatte Augen wie glänzende Sterne und einen Bart wie schäumendes Wasser!« »Er flog in einem Feuermantel!« sagte ein anderer. »Die lieblichsten Engelkinder blickten aus den Falten hervor!« Ja, das waren herrliche Sachen, die er hörte, und am folgenden Tage sollte er Hochzeit halten.

© 2011 bei Janus, 7 Jahre alt (Koffer ist im Wald verbrannt)Nun ging er in den Wald zurück, um sich in seinen Koffer zu setzen. Aber wo war der? Der Koffer war verbrannt. Ein Funken des Feuerwerks war zurückgeblieben, der Koffer hatte Feuer gefangen und lichterloh gebrannt. Nun konnte der Kaufmannssohn nicht mehr fliegen, nicht mehr zu seiner Braut gelangen.

Die Prinzessin stand den ganzen nächsten Tag auf dem Dache und wartete, und man erzählt, sie wartet noch heute. So war die Prophezeiung, dass sie durch ihren Liebsten unglücklich werden sollte, tatsächlich wahr geworden.

Der Kaufmannssohn aber, der beinahe eine Prinzessin bekommen hätte, wandert durch die Welt und erzählt Märchen. Sie sind jedoch nicht mehr so lustig wie das Märchen von den Streichhölzern, das er als Türkengott erzählte.

Vielleicht aber, wenn du ihn einmal triffst und ihn recht schön bittest, erzählt er es dir doch, das Märchen von den Streichhölzern.



...nach oben