Rumpelstilzli.li - E-Learning für die ersten 3 Schuljahre

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Die zwölf Jäger

Art: Märchen
AutorIn: Brüder Grimm
Land: Deutschland
Sprecher: Tom Keymer

Es war einmal ein Königssohn, der hatte eine Braut und hatte sie sehr lieb. Als er nun bei ihr sass und ganz vergnügt war, da kam die Nachricht, dass sein Vater todkrank läge und ihn noch vor seinem Ende zu sehen verlange.

Da sprach er zu seiner Liebsten: »Ich muss nun fort und muss dich verlassen, da geb ich dir einen Ring zu meinem Andenken. Wenn ich König bin, dann komm ich wieder und hol dich heim.« Da ritt er fort. Als er bei seinem Vater anlangte, war dieser sterbenskrank und dem Tode nah.

Er sprach zu ihm: »Liebster Sohn, ich habe dich vor meinem Ende noch einmal sehen wollen. Versprich mir, dich nach meinem Willen zu verheiraten.« Und er nannte ihm eine gewisse Königstochter, die sollte seine Gemahlin werden. Der Sohn war so betrübt, dass er sich gar nichts überlegte und sagte: »Ja, lieber Vater, was euer Wille ist, soll geschehen.« Und darauf schloss der König die Augen und starb.

Als nun der Sohn zum König ausgerufen und die Trauerzeit verflossen war, musste er das Versprechen halten, das er seinem Vater gegeben hatte. Er liess um die Königstochter werben, und sie wurde ihm auch zugesagt. Das hörte seine erste Braut und grämte sich über die Untreue so sehr, dass sie fast verging. Da sprach ihr Vater zu ihr: »Liebstes Kind, warum bist du so traurig? Was du dir wünschest, das sollst du haben.«

Sie überlegte einen Augenblick, dann sagte sie: »Lieber Vater, ich wünsche mir elf Mädchen, von Angesicht, Gestalt und Wuchs mir völlig gleich.« »Wenn’s möglich ist, dann soll dein Wunsch erfüllt werden,« sagte der Vater und liess in seinem ganzen Reich so lange suchen, bis elf Jungfrauen gefunden waren, die fast gleich aussahen, wie seine Tochter.

Als sie zu der Königstochter kamen, liess diese zwölf Jägerkleider machen, eins wie das andere. Die elf Jungfrauen mussten die Jägerkleider anziehen, und sie selber zog das zwölfte an. Darauf nahm sie Abschied von ihrem Vater und ritt mit ihnen fort. Sie ritt an den Hof ihres ehemaligen Bräutigams, den sie so sehr liebte. Da fragte sie an, ob er Jäger brauche und ob er sie nicht alle zusammen in seinen Dienst nehmen wolle. Der König sah sie an und erkannte sie nicht. Weil es aber so schöne Leute waren, sprach er: »Ja, ich will euch gerne nehmen!« Jetzt waren sie also die zwölf Jäger des Königs.

Der König aber hatte einen Löwen. Das war ein wunderliches Tier, denn er wusste alles Verborgene und Heimliche. Es trug sich zu, dass er eines Abends zum König sprach: »Du meinst, du hättest da zwölf Jäger?« »Ja,« sagte der König, »zwölf Jäger sind’s.« Da sprach der Löwe weiter: »Du irrst dich, das sind zwölf Mädchen.« Der König antwortete: »Das ist nicht wahr, wie willst du mir das beweisen?« »O, lass nur Erbsen in dein Vorzimmer streuen,« antwortete der Löwe, »da wirst du’s gleich sehen. Männer haben einen festen Tritt, wenn die über Erbsen hingehen, regt sich keine. Aber Mädchen, die trippeln und trappeln, und die Erbsen rollen.«

Dem König gefiel der Rat wohl, und er liess die Erbsen streuen. Es war aber ein Diener des Königs, der mochte die Jäger gut. Als er hörte, dass sie auf die Probe gestellt werden sollten, ging er hin, erzählte ihnen alles und sprach: »Der Löwe will dem König weismachen, dass ihr Mädchen seid.« Da dankte ihm die Königstochter und sprach danach zu ihren Jungfrauen: »Tut euch Gewalt an und tretet fest auf die Erbsen.«

Als nun der König am andern Morgen die zwölf Jäger zu sich rufen liess, und sie ins Vorzimmer kamen, wo die Erbsen lagen, so traten sie so fest darauf und hatten einen so sicheren, starken Gang, dass auch nicht eine Erbse rollte oder sich bewegte. Da gingen sie wieder fort. Der König sprach zum Löwen: »Du hast mich belogen, sie gehen ja wie Männer.« Da antwortete der Löwe: »Sie haben gewusst, dass sie auf die Probe gestellt werden sollten. Sie haben sich Gewalt angetan. Lass nur einmal zwölf Spinnräder ins Vorzimmer bringen. Die Mädchen werden sich daran freuen, und das tut kein Mann.« Dem König gefiel der Rat, und er liess die Spinnräder ins Vorzimmer stellen.

Der Diener aber, der es gut mit den Jägern meinte, ging hin und verriet ihnen den Anschlag. Da sagte die Königstochter zu ihren elf Mädchen: »Tut euch Gewalt an und blickt euch nicht um nach den Spinnrädern.«

Wie nun der König am anderen Morgen seine zwölf Jäger rufen liess, so kamen sie durch das Vorzimmer und sahen die Spinnräder gar nicht an. Da sprach der König wiederum zum Löwen: »Du hast mich belogen, es sind Männer, denn sie haben die Spinnräder nicht angesehen.« Der Löwe antwortete: »Sie haben gewusst, dass sie auf die Probe gestellt werden und haben sich Gewalt angetan.« Der König aber wollte dem Löwen nicht mehr glauben.

Die zwölf Jäger folgten dem König immer zur Jagd, und er hatte sie je länger, je lieber. Einmal waren sie wieder auf der Jagd. Da kam die Nachricht, die Braut des Königs komme.

Wie die rechte Braut das hörte, tat es ihr so weh, dass es ihr fast das Herz abstiess, und sie ohnmächtig auf die Erde fiel. Der König meinte, seinem lieben Jäger sei etwas passiert. Er lief hinzu und wollte ihm helfen und zog ihm den Handschuh aus. Da erblickte er den Ring, den er seiner ersten Braut gegeben hatte. Als er ihr in das Gesicht sah, erkannte er sie. Da wurde sein Herz so gerührt, dass er sie küsste. Und als sie die Augen aufschlug, sprach er: »Du bist mein und ich bin dein, und kein Mensch auf der Welt kann das ändern.«

Zu der andern Braut aber schickte er einen Boten. Er liess sie bitten, in ihr Reich zurückzukehren, denn er habe schon eine Gemahlin. Und wer einen alten Schlüssel wiedergefunden habe, brauche den neuen nicht. Darauf wurde die Hochzeit gefeiert. Und der Löwe kam wieder in Gnade, weil er doch die Wahrheit gesagt hatte.



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